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Vorgeschichte des Sophie-Scholl-Gymnasiums

Frauen, so dachte man bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, gehören eigentlich ohnehin nur ins Kinderzimmer und an den Herd; höhere Bildung für Mädchen wäre daher Verschwendung gewesen. Folgerichtig waren, ganz im Gegensatz zu heute, die Gymnasien reine Jungenschulen, "gemischte" höhere Schulen gab es nicht. Vor diesem Hintergrund nahmen sich vor allem private Institute, oft als Lyzeen bezeichnet, der höheren Mädchenbildung an. Sie führten im Allgemeinen im Laufe von sechs Jahren zu einem Abschluss, der in etwa der Mittleren Reife entsprach. Gerade in Fächern wie Naturkunde und Rechnen stand die Anwendbarkeit der Kenntnisse im Vordergrund („Wichtigkeit für Leben und Haushalt", "unter thunlichster Berücksichtigung der späteren Bedürfnisse des häuslichen Lebens.")

 

Eine solche private Mädchenschule wurde 1860 von der königlich bayerischen Oberleutnantstochter Luise Bauer als "Privatinstitut für Töchter gebildeter Stände in München" eröffnet und, seit 1895, unter verschiedenen Direktorinnen, in der Karlstraße 45 betrieben. Die von 1914 bis 1934 tätige Leiterin, Anna Roscher, wird als Altphilologin aufgeführt, muss also über eine für Frauen damals noch untypische universitäre Bildung verfügt haben. Von ihr übernahm ihr bisheriger Angestellter Ludwig Wimmer, Lehrer für Deutsch, Geschichte und Erdkunde, die Schule, weshalb sie dann als "Mädchenlyzeum Wimmer vormals Roscher" firmierte.

 

An der Franz-Joseph-Straße 31 in Schwabing bestand mindestens seit 1905 eine weitere private Höhere Mädchenschule. Sie wurde zunächst von Julie Kerschensteiner geleitet, einer Nichte des Reformpädagogen Georg Kerschensteiner. Sie schied 1912 aus der Schulleitung aus. Ihre Nachfolge als Leiterinnen der Mädchenschule übernahmen die beiden Lehrerinnen Johanna Doflein und Ida Simm. Eine dritte Höhere Schule für Mädchen gab es seit 1916 an der Ludwigstraße, zumindest zeitweilig zusammen mit einer Höheren Handelsschule. Leiterin war ab 1922 Franziska Hoerauf.

 

Die Jahre der nationalsozialistischen Diktatur unterwarfen auch die Schulen einer zunehmend durchgreifenden Kontrolle und auch Ideologisierung. Insbesondere die höhere Mädchenbildung war in diesem System, das die Frau ausschließlich in ihrer Rolle als Mutter sah, nicht erwünscht. Im Dezember 1938 erging die Anordnung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, mehrere private Mädchenlyzeen, darunter die Schulen Hoerauf und Wimmer (vormals Roscher), zum Ende des laufenden Schuljahres zu schließen. An die Stelle dieser beiden Schulen trat das Städtische "Mädchenlyzeum am Königsplatz", das zunächst sechsklassig angelegt war und ab 1942 als "Oberschule für Mädchen am Königsplatz" auf acht Klassenstufen - also von der heutigen 5. bis zur 12. Klasse - ausgebaut werden sollte, wobei sowohl ein sprachlicher als auch ein hauswirtschaftlicher Zweig vorgesehen waren.

 

Alle bisher beschriebenen Schulen waren konfessionell gemischt. Bedarf bestand aber auch nach einer explizit evangelisch ausgerichteten höheren Mädchenbildung. Der "Verein zur Förderung evangelischer Mädchenbildung" übernahm das Schulgebäude eines ehemals von Fräulein von Heydenaber geleiteten Mädchenlyzeums an der Tengstraße 40, richtete dort im Frühjahr 1929 ein evangelisches Mädchenlyzeum ein und benannte es nach Hermann von Bezzel (Hermann-Bezzel-Schule), dem 1917 verstorbenen früheren obersten Verwaltungschef der bayerischen Protestanten. Als Direktor berief der Verein den bisherigen Studienrat am Maximiliansgymnasium, Dr. Fritz Doerfler. Die Schule bot mehrere Ausbildungsrichtungen an, die sich insbesondere in der Fremdsprachenfolge unterschieden.

 

1935 wurde in einem Neubau an der Hiltenspergerstraße zusätzlich eine Frauenoberschule eingerichtet, die, auf dem Lyzeum aufsetzend, auf pädagogische und soziale Berufe vorbereiten sollte. Während des Kriegs wurde die Schule als „Oberschule an der Tengstraße" geführt, als achtklassige Oberschule mit Englisch als erster Fremdsprache, wobei die Schülerinnen ab der sechsten (der heutigen zehnten) Klasse entweder den sprachlichen Zweig mit Französisch und Latein als zweiter und dritter Fremdsprache wählten oder den hauswirtschaftlichen mit "Fächern des Frauenschaffens" (Kochen, Haus- und Gartenarbeit, Handarbeit, Gesundheitslehre und -pflege, Beschäftigungslehre, Säuglingspflege). Auch die Hermann-Bezzel-Schule konnte sich der zunehmenden Vereinnahmung und Kontrolle durch die nationalsozialistischen Machthaber nicht entziehen. Zum Sommer 1941 schloss das Kultusministerium die Schule endgültig und ließ sie von der Stadt als "Oberschule für Mädchen an der Tengstraße" weiterführen.

 

Die Arbeit nach Ende des 2. Weltkriegs an der ehemaligen Hermann-Bezzel-Schule, nun "Mädchenoberrealschule München-Nord" genannt, fand unter eigentlich unzumutbaren räumlichen Bedingungen statt. Das Schulgebäude an der Wilhelmstraße 29 wurde allmählich wieder hergerichtet, war aber durch die Belegung mit mehreren Schulen viel zu eng. Trotz der Verteilung auf die Schulen an der Wilhelmstraße und an der Simmernstraße standen nur halb so viele Räume zur Verfügung wie es Klassen gab, für den Fachunterricht mussten die Räumlichkeiten weiterer benachbarter Schulen, so des heutigen Oskar-von-Miller-Gymnasiums, der Schulen am Bayernplatz und an der Haimhauser Straße genutzt werden. Rund 1000 Schülerinnen, gut 50 Lehrer und das dazugehörige Material - die gesamte Schule - waren damit ständig auf der Wanderschaft.

 

Seit Anfang der 1950er Jahre setzten sich Eltern und die Nachfolgerin von Herrn Doerfler, Frau Dr. Lotte Köberlin, intensiv dafür ein, der „Schule ohne Heimat" ein Zuhause zu geben. Ende 1958 fiel der Beschluss für einen Neubau auf dem bisher unbebauten Gelände östlich des Luitpoldparks. Im November 1959 war Baubeginn, im Juli 1960 Richtfest und im Mai 1962 Einweihung. In Anwesenheit des ehemaligen Ulmer Oberbürgermeisters Dr. Robert Scholl, Vater von Sophie und Hans Scholl, erhielt die neue Schule den Namen "Städtisches Sophie-Scholl-Realgymnasium", heute Städtisches Sophie-Scholl-Gymnasium.

 

Nach einem Text von Sabine Schleichert, Historikerin und Genealogin

Vorstandsmitglied des Freundeskreises Sophie-Scholl-Gymnasium Förderverein e.V.

 

Quellen:

"Die Vorgängerschulen des Städt. Sophie-Scholl-Gymnasiums" von Sabine Schleichert

25 Jahre Sophie-Scholl-Gymnasium. Festschrift mit Jahresbericht 1986/87, München o.J. (1987)

Mädchen-Realgymnasium München-Nord. Aus dem Schuljahr 1958/59. Zusammengestellt von der Schülermitverwaltung, München o.J. (1959)

Städt. Mädchenrealgymnasium mit Oberrealschule München-Nord. Jahresbericht für das Schuljahr 1956/57, München 1957

Städt. Mädchenrealgymnasium mit Oberrealschule München-Nord. Jahresbericht für das Schuljahr 1959/60, München 1960

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